Opening Sequence Of Fritz Langs "M" (in German)

Essay by PaperNerd ContributorUniversity, Master's July 2001

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1. Einleitung In der folgenden Analyse soll die Eingangssequenz von Fritz Langs "žM "" Eine Stadt sucht einen Mörder" (Deutschland, 1931) nach verschiedenen Gesichtspunkten unter-sucht werden. Dabei werden vor allem die stilistischen Mittel wie KamerafÃŒhrung, Mon-tage und Licht analysiert, die handelnden Figuren charakterisiert und eine Genreeinord-nung vorgenommen. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Ton in diesem Film, da "žM" der erste Tonfilm Fritz Langs ist "" schon hier setzt Lang den Ton auf meisterhafte Weise ein.

Zum Inhalt des Film: In einer deutschen Großstadt treibt seit einigen Monaten ein Kindermörder sein Unwesen "" mehrere Kinder sind ihm schon zum Opfer gefallen. In der Bevölkerung breitet sich nach einem weiteren Mord Panik aus, eine denunziatori-sche Stimmung macht sich breit, jeder ist schnell verdÀchtig. Die Polizei sucht bislang erfolglos nach dem Mörder: Ihre massiven EinsÀtze im Kriminellen-Milieu stören die Gangster erheblich bei der AusÃŒbung ihrer "žehrenwerten" GeschÀfte. Die Gangster-Bosse beschließen deshalb, selbst nach dem TÀter zu fahnden.

Ein blinder Luftballon-VerkÀufer erkennt Beckert, den Kindermörder, schließlich an einem Lied wieder, das dieser bereits bei seiner letzten Tat gepfiffen hat. Ein junger Mann verfolgt den mut-maßlichen Kindermörder und markiert seinen Mantel mit einem weißen "žM". Nach einer Verfolgungsjagd wird Beckert von den Kriminellen in einem BÃŒrogebÀude gefasst und verschleppt. In einem nachgestellten Prozess soll er zum Tode verurteilt werden. Auch die Polizei war ihm auf der Spur. Sie erscheint im letzten Moment bei dem Krimi-nellen-Tribunal und liefert Beckert an die Justiz aus.

2. Aufbau der Eingangssequenz Die Sequenz beginnt mit einer Aufblende. Noch bevor etwas zu sehen ist, hört der Zu-schauer eine Stimme: Ein Kind sagt einen zur damaligen Zeit sehr populÀren AbzÀhl-reim auf. "žWarte, warte nur ein Weilchen. Dann kommt der schwarze Mann mit dem Hackebeilchen ..." verweist bereits auf das Sujet des Films, die Jagd auf einen Mörder. Nun werden etwa 10 Kinder sichtbar, die einen Kreis um das MÀdchen mit dem Ab-zÀhlreim bilden. Die spielende Gruppe befindet sich in einem kahlen, dunklen Hof. Die Kamera schwenkt langsam, und eigenartig ruckelnd, zur Seite und dann nach oben. Ein Art Balkon voller WÀscheleinen wird gezeigt, kurze Zeit spÀter erscheint eine Frau im Bild. Die Frau ist einfach gekleidet, sie trÀgt einen WÀschekorb. Als sie das Spiel der Kinder auf dem unter ihr liegenden Hof bemerkt, verbietet sie erbost das Kindermör-der-Lied. Ihr Berliner Dialekt lÀsst auf den Ort der Handlung schließen. Als die Frau aus dem Bild verschwindet, beginnen die Kinder erneut mit dem Lied. Schnitt ins Innere eines Treppenhauses. Die WÀschefrau trÀgt ihren Korb hinauf und klingelt an einer TÃŒr. Eine andere Frau öffnet, nimmt den Korb entgegen und fragt die andere, was sie denn bedrÃŒckt. Zur Antwort bekommt sie, dass "ždie Gören", trotz Verbots, schon wieder das "žverdammte Mörderlied" singen. Die Fragende, die den WÀschekorb ÃŒbernimmt, sieht das Spiel der Kinder positiv: So lange sie singen, sind sie wenigstens am Leben.

Die nun folgende Szene spielt in der KÃŒche der Waschfrau. Sie geht ihrer Arbeit nach, bis eine Kuckucksuhr ihr optisch und akustisch die Mittagszeit signalisiert. Sie stellt die WÀsche ein und bereitet ein Mittagessen zu. Schnitt zur Außenansicht einer Schule: Gutgekleidete Menschen warten auf ihre Kinder. Parallel montiert, sieht der Zuschauer nun abwechselnd das Geschehen in der KÃŒche und auf der Straße. Ein klei-nes MÀdchen lÀuft unaufmerksam auf die Straße, glÃŒcklicherweise ist ein Polizist zur Stelle und hilft dem Kind. Ballspielend setzt das MÀdchen seinen Weg fort, an einer LitfaßsÀule mit einem Fahndungsplakat bleibt es stehen. Mit dem Plakat wird ein Mör-der gesucht. Plötzlich schiebt sich ein Schatten vor die SÀule. Mit sÌßlicher Stimme fragt ein Mann, wie das Kind heißt. "žElsi Beckmann" lautet die Antwort.

Die Waschfrau, ganz offensichtlich Elsis Mutter, macht sich Sorgen. Sie schaut zur Uhr, im Treppenhaus sind Kinderstimmen zu hören. Sie schaut nach, doch Elsi ist nicht dabei "" die Kinder haben sie auch nicht gesehen. Der unbekannte Mann kauft wÀhrenddessen von einem StraßenverkÀufer einen Luftballon fÃŒr Elsi. Dabei pfeift er eine Edvard Grieg-Melodie (Peer Gynt-Motiv "žIn der Halle des Bergkönigs"). Ã"ußerst naiv, der ihr drohenden Gefahr vollkommen unbewusst, freut sich Elsi ÃŒber das Ge-schenk. Ihrer Mutter ist inzwischen klar, dass etwas passiert sein muss. Ein Fortset-zungsroman-VerkÀufer klingelt, er hat Elsi auch nicht gesehen. Sie ist bereits ÃŒber eine Stunde verspÀtet. Die Mutter stÃŒrzt ans Fenster und ruft mit zunehmender IntensitÀt nach Elsi. Nacheinander werden Einstellungen von Orten gezeigt, an denen Elsi eigent-lich sein mÃŒsste oder wo sie "žnormalerweise" zu finden ist "" das leere Treppenhaus, der leere WÀscheboden, der leere Stuhl am Esstisch. Die Frage nach Elsis Aufenthaltsort beantwortet Lang (bzw. deutet er eine Antwort an), indem er ihr Spielzeug, den Ball und den gekauften Luftballon ohne sie durch den Bildquader rollen oder fliegen lÀsst. Die Sequenz schließt so, wie sie begonnen hat: mit einer Schwarzblende.

3. Die Figuren 3.1. Mutter Beckmann Elsis Mutter (gespielt von Ellen Widmann) begegnet dem Zuschauer zum ersten Mal, als die Frau mit dem WÀschekorb bei ihr vorbeikommt. Sie ist einfach gekleidet: Ãœber ihrem groben Kleid trÀgt sie eine wasserdichte SchÃŒrze, die sie bei ihrer Arbeit als WÀ-scherin benötigt. Ihr Arbeitsort, die heimische KÃŒche, ist ihr Lebensmittelpunkt. Hier arbeitet sie, hier kocht sie, hier spielt sich das familiÀre Leben ab. Der Zuschauer lernt die Mutter als genÃŒgsame, bescheidene und schicksalsergebene Frau kennen. Neben dem Mienenspiel sorgt vor allem Widmanns Stimme fÃŒr diesen Eindruck. Bereits ihre ersten Worte ("žSolange man ÂŽse noch singen hört, ...") werden in einer sehr lethargi-schen Weise vorgetragen, der auf den Boden gerichtete Blick ergÀnzt das Bild dieser Frau. Als Symbol ihrer Gottes- und Schicksalsergebenheit kann das erste Bild aus der KÃŒche gedeutet werden: Im Zentrum der KÃŒche und damit ihres Lebens befindet sich das Fenster, durch den starken Lichteinsatz von Außen bekommt das dunkle Fenster-kreuz die Anmutung eines riesigen Kruzifixes.

Scheinbar freudlos, aber pflichtbewusst verrichtet die Mutter nun ihre Arbeit. Erst das GerÀusch der Kuckucksuhr Àndert ihre Stimmung: Ihre Miene hellt sich auf, da ihr jetzt klar wird, dass ihre Tochter bald aus der Schule kommen wird. Mit Freude beginnt sie die Zubereitung des Mittagsmahls. Geschickt hat Fritz Lang somit eine Figur etab-liert, die der Zuschauer als Frau wahrnimmt, deren einzige Freude ihr Kind ist. Von einem Lebenspartner erfÀhrt man im gesamten Film nichts, ihre Arbeit dient anschei-nend einzig und allein der Versorgung von Elsi. Deren Ermordung, vom Zuschauer durch Vorkenntnisse und z. B. den Titel des Films bereits erwartet, erscheint deshalb umso grausamer. Der armen Frau wird schließlich ihr Ein und Alles genommen.

Am Ende des Films taucht Frau Beckmann erneut auf: Sie spricht die Àußerst tri-viale, damit den Film durchaus entwertende, "žMoral von der Geschichte". In Trauer-kleidung, das Gesicht noch verhÀrmter und gramvoller als zuvor sagt sie: "žMan muss halt besser aufpassen auf die Kleinen." Eine kleine Portion Sozialkritik hat Fritz Lang in der Eingangssequenz versteckt. WÀhrend die, durch ihre Kleidung erkennbaren, Wohl-habenden vor der Schule stehen und ihre Zöglinge abholen, sind die Àrmeren Bevölke-rungsschichten, vertreten durch Elsis Mutter, zur Arbeit gezwungen. Durch eine Paral-lelmontage (Auf der einen, der Àrmeren, Seite: Kuckucksuhr und anschließendes Essen-kochen. Auf der anderen Seite: Glockenschlag zur VerstÀrkung des zeitgleichen Ein-drucks und die wohlhabenden Eltern, die vor der Gemeindeschule stehen) wird dieser Zusammenhang verdeutlicht.

3.2. Elsi Beckmann Von Beginn an lernt das Publikum Elsi Beckmann (gespielt von Inge Landgut) als schwaches, schutzbedÌrftiges Kind kennen. Bereist beim ersten Erscheinen befindet sie sich in einer Gefahrensituation "" beim achtlosen Überquerend der Straße wird sie bei-nahe von einem vorbeifahrenden Auto erfasst "" und wird dann von einem hilfsbereiten Polizisten Ìber die Straße gefÌhrt. Die Szene ist nicht ohne Ironie: Bei einer alltÀglichen Gefahr wie dem Straßenverkehr ist sofort jemand SchÌtzendes, in diesem Fall der Poli-zist, zur Stelle. Der anderen, unheimlichen Gefahr ist Elsi hingegen schutzlos ausgelie-fert.

Im weiteren Verlauf der Handlung verstÀrkt sich das entstandene Bild. Verspielt und ahnungslos setzt sie ihren Weg ballspielend fort. An der LitfaßsÀule angekommen, spielt sie symbolisch mit ihrem Mörder. Sie wirft ihren Ball gegen das Fahndungsplakat. Den Inhalt und mit ihm die ihr drohende Gefahr, nimmt sie nicht wahr "" obwohl der Zuschauer annehmen darf, dass Elsi lesen kann. In den folgenden Szenen wird Elsis naiver Charakter vor allem durch ihre Stimme betont. Schon auf die Frage nach ihrem Namen antwortet sie sehr arglos und mit einer geradezu kleinkindhaften Stimme: "žElsi Beckmann". Gesteigert wird der Einsatz der naiven Kleinkind-Stimme beim blinden BallonverkÀufer. Vollkommen arglos, mit Freude in der Stimme, jubelt sie ÃŒber das er-haltene Geschenk, den Luftballon. Bereitwillig fasst sie den vermeintlichen Kindermör-der an der Hand und geht mit ihm. SpÀtestens hier ist dem Zuschauer bewusst, dass Elsi aus eigener Kraft dem Mörder nicht entkommen wird. Ganz einfach deshalb, weil ihr absolut keine Gefahr bewusst ist. Zur Verdeutlichung ihrer NaivitÀt lÀsst Fritz Lang zwei gleichaltrige Kinder, Elsis Schulkameraden, im Film erscheinen. Auf die Frage der Mutter, ob Elsi vielleicht gesehen wurde, antwortet eines der Kinder kraftvoll und selbstbewusst, ja frech: "žNee, mit uns ist sie nicht mitgekommen." Beim Zuschauer stellt sich wegen Elsis Unbedarftheit die Frage nach einer mögli-chen Mitschuld der Mutter am Verschwinden der Tochter. Schließlich hat sie ihr Kind unter UmstÀnden nicht ausreichend ÃŒber die ihm drohenden Gefahren aufgeklÀrt. Diese Intention Langs ist mindestens fragwÃŒrdig, passt aber nahtlos an das arg simplifizieren-de Ende des Films.

3.3. Hans Beckert Der Kindermörder Hans Beckert (gespielt von Peter Lorre) wird in der Eingangsse-quenz nicht nÀher charakterisiert. Er begegnet dem Zuschauer zum ersten Mal als Schatten, der ÃŒberlebensgroß und drohend auf das Fahndungsplakat geworfen wird. Das Plakat fungiert gewissermaßen als Spiegel, in dem Beckert sich erkennen kann, so er denn will. Die aufgedruckte Frage "žWer ist der Mörder?" wird somit vom Mörder selbst beantwortet. Mit dem Schattenspiel spielt Lang auf die beim Publikum herrschenden Ã"ngste an. Als Schattenmann, als Finsterling, als gesichtlosen Dunkelmann, der plötz-lich aus dem Nichts auftaucht und sein Opfer heimtÃŒckisch weglockt: So stellte man sich TriebtÀter vor. Gerade dieses "žNicht-Sehen" des Mörders, das Spiel mit der Phan-tasie, wer sich wirklich hinter der Maske des Schattenmanns verbirgt, verstÀrkt die Angst und damit auch die Spannung des Publikums.

Lorres Sprechstimme, diese weiche, unsichere Stimme mit einem Anflug von Wienerischem Dialekt, bewirkt allerdings bereits eine erste Ã"nderung in der Publikums-Wahrnehmung. Hier spricht kein kaltblÃŒtiger Mörder zum Zuschauer. Nein, das kranke und triebhafte dieses Menschen, schimmert durch die unsichere Sprache nach Außen. Wir hören einen Menschen, der nicht nur TÀter, sondern auch ein Opfer seiner selbst ist.

Auch in einer weiteren Einstellung, die den Mörder und Elsi beim Kauf eines Luftballons zeigen, sehen wir nicht in das Gesicht des Mörders. Gezeigt wird immerhin die kleine, gedrungene Gestalt mit dem wehenden, Ìberlangen Mantel und dem Hut auf dem Kopf. Weitere Details bleiben verborgen. Das ist auch verstÀndlich. Denn im Ge-gensatz zu Elsi und ihrer Mutter rÀumt Lang dem Kindermörder im weiteren Verlauf des Films noch genug Raum fÌr dessen Charakterisierung ein. Dass Beckert am Anfang so rÀtselhaft bleibt, trÀgt wesentlich zur Spannung des Films bei.

Die beschriebene Szene beim blinden BallonverkÀufer ist trotzdem von großer Wichtigkeit. Beckert pfeift zum ersten Mal das Lied aus der Peer Gynt-Suite "" die Melo-die wird an dieser Stelle als Thema etabliert. Sie wird dem Kindermörder spÀter zum VerhÀngnis. Dass ihn ausgerechnet der blinde BallonverkÀufer wieder erkennt ist nicht frei von Ironie. Lang zitiert damit den griechischen Mythos vom blinden Seher Teiresi-as, der trotz seiner Sehbehinderung mehr sieht als die meisten seiner sehfÀhigen Mit-menschen.

4. KonfliktverhÀltnisse Die Eingangssequenz von "žM" ist im Prinzip ein "žFilm vor dem Film". Im Gegensatz zu einer echten Exposition, in der die beteiligten Figuren, die SchauplÀtze, Konfliktpo-tenziale und Àhnliches eingefÃŒhrt werden, erfÃŒllen die ersten Szenen von "žM" diese Aufgabe nur eingeschrÀnkt. Zwar wird das Publikum mit dem Schauplatz "" eine deut-sche Großstadt, wahrscheinlich Berlin "" vertraut gemacht, ein Großteil der handelnden Figuren spielt im weiteren Verlauf des Films keine Rolle mehr. Auch auf das Hauptthe-ma von "žM", die Menschenjagd von Verbrechern und Staatsmacht auf den Kindermör-der, wird noch nicht eingegangen.

Stattdessen wird der typische Verlauf eines der Verbrechen des Kindermörders gezeigt. Das Publikum weiß nun, wo und wie Beckert seine Opfer anspricht, entschei-dend fÃŒr den Fortgang des Films ist dieses Wissen aber nicht. Abgesehen von der "žEr-kennungsmelodie" des Mörders werden die Informationen des Filmanfangs spÀter nicht mehr benötigt. Auf die KonfliktverhÀltnisse der Anfangssequenz abgeleitet, ergibt sich deshalb dieses Bild: Die Opfer Elsi und auch ihre Mutter, sind nicht nur Opfer des triebgesteuerten TÀters, sie sind auch Opfer eines Zufalls. Bis zur Tat verband TÀter und Opfer ÃŒberhaupt nichts, es gibt nichts, was auf eine besondere GefÀhrdung Elsis, wie zum Beispiel die Bekanntschaft des Kindermörders, hinweist. Zwischen den beiden Handelnden gibt es keine Konflikte, ein VerhÀngnis fÃŒhrte sie zusammen.

Das wiederum bereitet den Boden fÌr die weiteren Handlungselemente. Denn ge-rade die ZufÀlligkeit der Ereignisse und dass es jeden Treffen kann, der das Pech hat, dem TÀter zu begegnen